EBV-Schnappschüsse
   

Eppendorf historisch: Die Vaterstädtische Stiftung 

Vaterstädtische Stiftung - Frickestraße Vaterstädtische Stiftung - Frickestraße

Die Jahre 1848/49 waren bewegte Zeiten. Das Bürgertum rebellierte gegen die Vorherrschaft des Adels und forderte Gleichheit und Mitbestimmung. Die „Märzrevolution“ scheiterte, doch einige Errungenschaften blieben erhalten, z.B. die bürgerliche Gleichstellung der Juden in Hamburg. Das Hamburger Bürgerrecht war nun nicht länger an die lutherische Konfession gebunden. Um diese Errungenschaft gebührend zu würdigen und ihre Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt zu zeigen, gründeten einige jüdische Kaufleute, Bankiers und Akademiker den „Schillingsverein für Freiwohnungen“. 

Vaterstädtische Stiftung - Hauseingang Vaterstädtische Stiftung - Hauseingang

Der Vereinszweck sah vor, bedürftigen Familien jüdischen und christlichen Glaubens günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das Konzept bewies die demokratische Grundhaltung der Initiatoren: Ein gewählter, paritätisch besetzter Stiftungsvorstand, Transparenz, Mitspracherechte. Um die Bewohner nicht zu Almosenempfängern zu degradieren, sollten sie eine kleine Miete zahlen (1 Schilling). Selbst das Finanzierungsmodell war neuartig: Keine große Einzelspende, sondern eher so eine Art Crowdfunding-System mit vielen kleineren Geldgebern, zu denen auch christliche Geschäftspartner und Freunde gehörten. 

Zwei Jahre später bezogen sechs jüdische und sechs christliche Familien die ersten fertiggestellten Wohnungen am Eichholz. Es folgten weitere Häuser in St. Pauli und Borgfelde. Das Projekt lief jetzt unter dem Namen „Stiftung zum Andenken an die bürgerliche Gleichstellung der Hamburger Israeliten“. Später (1935) wurde daraus die „Vaterstädtische Stiftung“ und die Konfession spielte keine Rolle mehr für die Wohnungsvergabe. 

Vaterstädtische Stiftung - Ecke Schedestraße Vaterstädtische Stiftung - Ecke Schedestraße

Die Nachfrage nach diesen günstigen Wohnungen war riesig und so bat die Stiftung den Hamburger Senat um günstiges Bauland für weitere Gebäude. Jetzt kam Eppendorf ins Spiel. Die Stadt hatte hier ein 55 ha großes Areal gekauft und das „Neue Krankenhaus“ errichtet. Es wurde 1889 feierlich eingeweiht, später wurde daraus das UKE. Die Planung war sehr großzügig. Die Pavillons des Krankenhauses belegten nur 1/3 der Fläche, das restliche Gebiet war als Ruhezone gedacht. Im Süden entstand auf einem Teil des „breiten Feldes“ der Eppendorfer Park und im Osten, also in Richtung Dorfmitte, vergab der Senat das Land sehr günstig an wohltätige Organisationen. Die Stiftung erhielt ein großes Grundstück an den Ecke Fricke-/Schedestraße. Ab 1906 errichtete sie hier den Sutor-, Beit- und Oppenheim-Stift. Außerdem übernahm sie die Verwaltung des Martin Brunn-Stifts: ein Hauses mit 42 Wohnungen für ältere, alleinstehende Frauen, ehemalige Arbeiterinnen. Es war schon 1895 aus dem Nachlass des jüdischen Kaufmanns Martin Brunn errichtet worden. Er hatte testamentarisch verfügt, dass seine Ehefrau dem Vorstand der Stiftung angehören sollte. So wurde sie mit der Verwaltungsübernahme durch die Vaterstädtische Stiftung deren erstes weibliches Vorstandsmitglied. Auch in Fuhlsbüttel und Eimsbüttel entstanden neue Stiftshäuser. Die Stiftung war längst eine anerkannte Institution.

Dann begann die Schreckensherrschaft der Nazis. Die Stiftung wurden „arisiert“ und stand nur noch „Deutschen Volksgenossen“ zur Verfügung. Die jüdischen Bewohner mussten ihre Wohnungen verlassen, den vier jüdischen Vorstandsmitgliedern blieb nur der Rücktritt. Der wohltätige Stiftungszweck war in sein Gegenteil verkehrt worden. 

Martin Brunn Stift - ca. 1920 Martin Brunn Stift - ca. 1920

Das Martin Brunn-Stift erhielt den Sonderstatus als „Judenhaus“: hier wurden jüdische Familien zwangsweise einquartiert. Bis zu drei Personen mussten sich ein Zimmer mit 12-14 qm teilen. Ab 1942 erfolgte schließlich die Deportation zumeist nach Theresienstadt und Auschwitz. Ca. 145 Menschen wurden aus dem Stift in die KZs verschleppt, keiner hat das Kriegsende erlebt. 

Der Neuanfang nach Kriegsende gestaltete sich schwierig, doch die Stiftung konnte sich behaupten. Heute leben hier ältere Menschen, die auf dem 1. Wohnungsmarkt keine Chance hätten. Die Initiatoren fühlten sich ihrer Heimatstadt tief verbunden. Sie wollten die Barrieren zwischen den Konfessionen überwinden und haben die Gemeinsamkeit in den Mittelpunkt gestellt: Hamburger Bürger helfen Hamburger Familien. Ihr Projekt hat unsere Stadt lebenswerter gemacht.

Quellen

  • Angela Schwarz, Die Vaterstädtische Stiftung in Hamburg in den Jahren von 1849 bis 1945, Verlag Dr. Kovac, HH2007
  • Stadtteilarchiv Eppendorf e.V., Stifter, Schwestern, Zufluchtsstätten, HH2012 

Text: Marion Bauer 
Bilder: M. Bauer; H. Loose; Privatbesitz