EBV-Schnappschüsse
   

50 Jahre „Haynstraße bleibt!“

Das Gebäude Haynstraße Das Gebäude Haynstraße

Es gibt viele schöne Häuser in unserem Stadtteil, das Haus mit der Jugendstil-Fassade an der Ecke Hayn-/Hegestraße gehört dazu. Ein Spruchband an der Hauswand „Keine Profite mit Boden und Miete“ und ein 3m hoher T-Rex der Spezies „Spekulantenfresser“ im Garten zeigen aber, dass dieses Haus und seine Bewohner etwas Besonderes sind.

Fahrstuhl von 1913 Fahrstuhl von 1913

Die Historie reicht in die Kaiserzeit zurück, es wurde 1911 als „hochherrschaftliches Etagenhaus“ errichtet. Die Bombardierungen im 2. Weltkrieg überstand das Gebäude unbeschadet. Doch 1970 sah es fast so aus, als wäre seine Geschichte schon wieder zu Ende. Die Firma IHA Hausbau kaufte es in der Absicht, es abzureißen – nicht etwa, weil es baufällig gewesen wäre! Für neue Luxuswohnungen hätte der Eigentümer hohe Mieten verlangen können, für Altbauwohnungen galt noch die Mietpreisbindung. So manches erhaltenswerte Haus ist deshalb damals verschwunden.

Hausversammlung auf dem Dachboden 1978 Hausversammlung auf dem Dachboden 1978

Doch es kam anders! Die IHA hatte allen Alt-Mietern gekündigt und überließ Studenten die leer werdenden Wohnungen zur vorübergehenden Nutzung. Als sich 1973 die Anzeichen für den bevorstehenden Abriss verdichteten, starteten die neuen Bewohner eine Kampagne zur Rettung des Hauses. Diese setzte auf die Ausschöpfung juristischer Möglichkeiten sowie effektive Öffentlichkeitsarbeit. Und tatsächlich: Die IHA verlor den Räumungsprozess! Seit 1972 galt die Zweckentfremdungsverordnung und das Bezirksamt nahm die schon erteilte Abrissgenehmigung zurück.

Tuten und Blasen 1978 Tuten und Blasen 1978

1975 verkaufte die IHA das Haus an die DORUSSA AG, die mit den Hausbewohnern einen bemerkenswerten Mietvertrag abschloss: Alle Bewohner bilden eine Mietergemeinschaft mit umfassenden Mitspracherechten. Und vor allem: sie hat das Recht auf „Selbstergänzung“. Im Klartext heißt das: Nicht der Eigentümer entscheidet, wer dort einziehen darf, sondern die Gemeinschaft. Dieser Vertrag stammt aus der Feder von Bernd Vetter, der damals als Student in dem Haus lebte. Heute ist er Mieter-Anwalt und wohnt dort noch immer.

Es folgten noch viele Versuche, die streitbaren Bewohner loszuwerden. Aber der Mietvertrag ist wasserdicht. Seit 2009 gilt das Gebäude als „besonders wertvolles Einzeldenkmal“. So mancher Impuls ist von dieser Mietergemeinschaft ausgegangen. Sie gilt als Keimzelle des Vereins „Mieter helfen Mieter“. Auch im Kleinen wird sie aktiv. So hat sie eine Patenschaft für die Grünfläche vor dem Haus übernommen und eine Baum-Bank errichtet, die von vielen Passanten gerne zum Verweilen genutzt wird.

Baudenkmal Hayn-Palast

Der Eingangsbereich Der Eingangsbereich

Das „hochherrschaftliche Etagenhaus“ wurde 1910/11 nach einem Entwurf von J.G. Hupach errichtet, der Zeit entsprechend mit einer Fassade in Jugendstildekoration. Bemerkenswert ist der Mittelrisalit, also der hervorgehobene Fassadenteil in der Mitte des Hauses: er besteht aus Sandstein. Ein Gutachten schätzt das Alter dieses Materials auf 200 Mio. Jahre, ein mit Fossilien durchsetzter Kalksandstein, vermutlich aus der Gegend um Braunschweig. Bei einer eher schlampig durchgeführten Renovierung in den 70er Jahren war die ganze Fassade einfach weiß gestrichen worden. Erst die aufwendige Sanierung 2007 brachte diesen Schatz wieder zum Vorschein.

Glasornamente im Oberlicht Glasornamente im Oberlicht

Ursprünglich beherbergte der „Hayn-Palast“ 11 riesige Wohnungen mit bis zu 300 qm Wohnfläche. Herrenzimmer, Salon, Ankleideraum etc – der exklusiven Zielgruppe sollte es an nichts fehlen. Die Erstmieter waren wohlhabende Bürger, zumeist Geschäftsleute, 1 Konsul, 1 Offizier. In den 1930er Jahren erfolgte ein massiver Umbau: die Wohnungen wurden geteilt. Aber in den Jahrzehnten danach gab es nur wenige Modernisierungsarbeiten, deshalb sind viele bauzeitliche Elemente erhalten geblieben. So sind z.B. die Kastenfenster mit ihren schlanken Holzsprossen tatsächlich über 100 Jahre alt! Besonders schön ist auch ein alter Fahrstuhl aus dunklem Holz. Ein Schild in der Einstiegstür mit Jugendstil-Ornamenten gibt Auskunft über das Datum der Inbetriebnahme: 1913. Also schon zur Kaiserzeit beförderte dieses Gefährt die vornehmen Bewohner in die verschiedenen Ebenen, vielleicht den Herrn Konsul oder die Gemahlin eines Kaufmanns, die sich in ihrem eleganten Kostüm für die Fahrt in die oberen Stockwerke auf einem der zwei Holzklappsitze niederließ – eine faszinierende Vorstellung! Im obersten Stockwerk angekommen, blickt man auf ein weiteres Highlight: ein Oberlicht mit bunten Glasornamenten, Mond, Sterne, Sternkreiszeichen… ein paar Motive sind leider verloren gegangen.

2009 hat der Denkmalschutz das Haus als besonders wertvolles Einzeldenkmal anerkannt.

Noch eine Info zum Schluss: Das für den 13. Juni 2020 geplante Hausfest muss wegen Corona leider ausfallen.

Quellen:
http://hayn-hegestr.de/

Reinhard Barth, Das Haus, Metta Kinau Verlag Hamburg 1988/ Fortsetzung III, HH 2014

Werner Skrentny, Das Eppendorf-Buch, Weidlich-Verlag, 2013

Fotos: Mietergemeinschaft Hayn-/Hegestrasse, Marion Bauer

Marion Bauer - April 2020