100 Jahre Frauenwahlrecht
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben Frauen für die politische Mitbestimmung gestritten. Die Einführung des Frauenwahlrechts im Zuge der Novemberrevolution von 1918 war ein Riesen-Erfolg. Zunächst hatten wir über Helene Lange berichtet, deren großes Engagement der Mädchenbildung galt und die zum bürgerlich gemäßigten Zweig der Frauenbewegung gehörte. Nun stellen wir eine exponierte Vertreterin des bürgerlich radikalen Flügels vor:
Teil 2: Lida Gustava Heymann
Lida wurde 1868 in Hamburg als Tochter eines reichen Kaufmanns geboren. Sie erhielt die standesgemäße klassische Bildung, weigerte sich aber, das Leben einer höheren Tochter zu führen und unterrichtete stattdessen lieber Kinder an einer Armenschule. 1896 erbte sie das Vermögen ihres Vaters und begann ihr soziales Engagement: sie organisierte einen Mittagstisch für bedürftige Frauen und Kinder und gründete in der Paulstraße 25 (heute Europapassage) das 1. Frauenhaus Hamburgs. Lida beschränkte sich jedoch nicht auf Wohltätigkeit, sondern startete einige provozierende politische Aktionen, z.B. weigerte sie sich, Steuern zu zahlen da sie ja kein Wahlrecht habe und sie beschuldigte die Hamburger Obrigkeit der Zuhälterei, da diese Bordelle dulde und sogar daran verdiene, während die Prostitution verboten sei. Auf einem Kongress in Berlin lernte sie ihre spätere Lebenspartnerin Anita Augspurg kennen - eine Schauspielerin, profilierte Frauenrechtlerin und Deutschlands erste Juristin. 1902 machten die beiden Frauen Hamburg zum Zentrum der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung, indem sie den 1. deutschen Verein für Frauenstimmrecht gründeten.
Mit Beginn des 1. Weltkrieges rückte ein neues Thema in den Fokus: der Kampf um Frieden. Im Gegensatz zu großen Teilen der Frauenbewegung verurteilten die beiden Pazifistinnen den Krieg, den sie als „Kulminationspunkt männlicher Raff- und Zerstörungswut“ sahen. Sie verknüpften die politische Gleichberechtigung mit der Friedensfrage: „Ein Europa mit Frauenwahlrecht wäre keinem Weltkrieg zum Opfer gefallen.“ Beide Aktivistinnen waren zu diesem Zeitpunkt schon international sehr gut vernetzt und gehörten 1915 zu den Initiatorinnen des 1. Internationalen Frauenfriedenskongresses in Den Haag, an dem mehr als 1100 Vertreterinnen aus europäischen Ländern und den USA teilnahmen. Der Kongress forderte nicht nur den sofortigen Frieden, sondern auch den nachhaltigen Friedenserhalt mithilfe von internationalen Organisationen. Viele Jahre später wurde diese Idee mit Gründung der UNO aufgegriffen.
1918 gingen mit der Novemberrevolution gleich 2 Träume in Erfüllung: der Krieg war zu Ende und Frauen durften wählen. Der politische Einfluss von Frauen blieb jedoch trotz Wahlrecht sehr gering und so ging der Kampf um Mitbestimmung weiter. Als Schlägertrupps der erstarkenden Nationalsozialisten Veranstaltungen der Frauenrechtlerinnen terrorisieren, forderte Heymann 1923 die Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler aus Bayern – leider vergeblich, wie anders wäre wohl sonst die Geschichte verlaufen?
Als Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, blieb den Freundinnen nur der Weg ins Exil nach Zürich, ihr gesamtes Vermögen wurde von den Nationalsozialisten konfisziert. Trotzdem kämpften sie weiter gegen Faschismus und Krieg. Schon 1934 warnte Heymann: „Faschismus ist gleichbedeutend mit Krieg“.
Lida Gustava Heymann erlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr. Sie starb 1943 in Zürich, wenige Monate vor ihrer Lebensgefährtin Anita Augspurg.
In Eimsbüttel wurde die Heymannstraße nach ihr benannt. Seit 2009 erinnert eine Gedenktafel in der Europapassage an die Frauenrechtlerin.
Quellen: Digitales Deutsches Frauenarchiv, Bild 146-1987-143-05 , Broschüre von Lida Gustava Heymann, 1907
Text: Marion Bauer