Die Falkenried-Terrassen im Wandel der Zeit
Im Stadtteil Hoheluft-Ost ist mit seinen kleinen Boutiquen, Restaurants und Cafés immer viel los. Inmitten all des geschäftigen Trubels liegen die Falkenried-Terrassen: Eine Oase ohne Verkehrslärm. Zwischen den Häuserreihen grünt und blüht es. Apfelbäume, Rosenbüsche, Sonnenblumen und dazwischen Gartenstühle und Tische. Man kann sich gut vorstellen, wie sich die Nachbarn hier abends treffen und klönen.
Die Geschichte der Falkenried-Terrassen reicht weit zurück, sie wurden in der Kaiserzeit als Arbeiterunterkünfte erbaut (1890 – 1902). Hamburg erlebte damals eine rasante Entwicklung hin zu einer modernen Industriestadt, inklusive aller sozialen Verwerfungen. Der neue Freihafen, der Dampfschiffbau bei Bohm & Voss und Hapag – all dies zog scharenweise Arbeiter in die Stadt. Auch die umliegenden Dörfer gerieten in den Strudel des Wandels, 1894 wurde Eppendorf ein Stadtteil Hamburgs. Die Landhäuser mit ihren weitläufigen Gärten verschwanden und machten Etagenhäusern Platz, zumeist für eine wohlhabende Klientel. Es entstanden aber auch bescheidenere Wohnquartiere wie die Falkenried-Terrassen: Die ca. 660 Wohnungen waren 30 bis 50 qm groß und mit Anschluss an das öffentliche Trink- und Abwassernetz hygienisch gesehen gut ausgestattet – man hatte wohl von der Cholera-Epidemie gelernt. Hier fanden Hafenarbeiter, deren Unterkünfte auf dem Wandrahm für den Bau der Speicherstadt abgerissen worden waren, ein neues Zuhause und natürlich auch die Beschäftigten des 1892 von der Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft errichteten Betriebshofs an der Straße Falkenried. Auf diesem Gelände standen die Ställe für ca. 300 Pferde und in den Werkshallen wurden Straßenbahnwagen gebaut, zuerst für die Pferdebahn und später für die „Elektrische“. Die Waggons rollten nicht nur auf Hamburgs Straßen, das Werk exportierte in die ganze Welt. Damals gehörte das Gebiet des Bezirks Hoheluft-Ost übrigens noch zu Eppendorf, er wurde erst 1951 ein eigenständiger Stadtteil.
In der Zeit der Weimarer Republik galt das Viertel als „rote Hochburg“, viele Bewohner bekannten sich zur SPD / KPD. So mancher von Ihnen wurde während der Nazizeit verhaftet. Schon 1 Tag nach der Machtergreifung fanden Razzien statt. Nachdem der Hitlerjunge Otto Blöcker während eines Nazi-Aufmarsches auf der Gossler-Straße (heute Eppendorfer Weg) im Lokal „Falkenburg“ von Schüssen getötet worden war, wurden mehrere Falkenrieder zum Tode verurteilt. 1934 wurde die Straße Falkenried in Otto-Blöcker-Straße umbenannt.
Eppendorf blieb vom Bombenhagel der „Operation Gomorrha“ relativ verschont. Ein paar Einschläge gab es aber doch: Mehrere Gebäude der Terrassen wurden 1943 durch Brandbomben zerstört. Schon vorher waren 4 Terrassenhäuser für den Bau eines Hochbunkers abgerissen worden.
Nach dem Krieg lagen ganze Stadtviertel in Trümmern, die Schaffung von Wohnraum hatte höchste Priorität. Den Stadtplanern stellte sich die Frage: Bauen wir alles so auf wie früher oder nutzen wir den Kahlschlag für die Gestaltung der Stadt nach neuen, modernen Maßstäben? In Barmbek entschied man sich für die Beibehaltung der alten Strukturen, in Altona hingegen entstand ein riesiges Modellprojekt für das neue Wohnen: Hochhäusern mit weitläufigen Grünanlagen und breiten Straßen für den Autoverkehr. Die Federführung hatte Architekt Ernst May, Planungschef des Wohnungsbaukonzerns Neue Heimat. So manches alte Haus mit guter Bausubstanz wurde abgerissen, weil es im Weg stand. Denkmalschutz stand nicht hoch im Kurs. Und auch viele Mieter tauschten gern ihren zugigen Altbau mit Kohleheizung gegen eine komfortabel ausgestattete Neubauwohnung.
Auch für die Falkenried-Terrassen sah der städtische Sanierungsplan vor: Abriss und neue Bebauung. Ab Mitte der 60er-Jahre kauften Saga und Neue Heimat die Wohnungen auf, um sie abzuwickeln. Der Zustand der Häuser war schlecht. Der Verfall hatte schon vor dem Krieg begonnen: In der Inflationszeit wurden sie immer wieder verkauft, manchmal sogar mehrfach am Tag, Instandhaltungsarbeiten – Fehlanzeige. Einige Wohnungen galten inzwischen als unbewohnbar. Wer es sich leisten konnte, zog aus. Zurück blieben Familien mit Migrationshintergrund, Künstler, Studenten. Und die wollten hier nicht weg. Ihnen gefiel diese Insellage inmitten der Stadt und sie besaßen genug Fantasie, das Potenzial dieses Gebäudeensembles zu erkennen. 1973 schlossen sie sich zu einer Mieterinitiative zusammen, um ihre Wohnungen zu retten. Über Straßenfeste, Diskussionsrunden, Demonstrationen etc. versuchten sie, die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen. Sie brauchten einen langen Atem.
Im Laufe der Jahre änderte sich der Zeitgeist. Altbauwohnungen galten jetzt als charmant und man erkannte, dass mit jedem Abriss ein Stück Identität verloren ging. Auch in der Politik erfolgte ein Umdenken. 1984 besichtigte der damalige Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi die Terrassen. Sein Kommentar: „So was muss man erhalten“. Nach fast 20 Jahren der Ungewissheit konnten die Falkenrieder endlich aufatmen: Hamburg verkaufte 1990 die Häuser an die Lawaetz-Stiftung und beschloss die Instandsetzung aus öffentlichen Mitteln. Die Sanierung berücksichtigte auch ökologische Aspekte, z. B. speist sich die Wasserspülung der WCs aus Regenwasserzisternen. Aus der Mieterinitiative war inzwischen eine Genossenschaft geworden, sie übernahm die Verwaltung.
Die Wohnungen sind Menschen mit geringem Einkommen vorbehalten, die Mietergenossenschaft sorgt für eine diverse Sozialstruktur. Heute leben in den 324 kleinen 1- bis 2-Zimmer-Wohnungen ca. 450 Menschen. Es gibt 15 Familienwohnungen und 23 Wohnungen für soziale Projekte. Seit 2013 stehen die Häuser unter Denkmalschutz.
Den Außenbereich haben die Bewohner individuell gestaltet. Der eine bevorzugte Büsche vor seinem Fenster für etwas mehr Privatsphäre, der andere fand gerade die Gespräche aus dem Küchenfenster toll und entschied sich für eine Sitzbank. So entstand die bunte Vielfalt zwischen den Häuserzeilen.
Der Hochbunker beherbergt Büros, Lagerräume und einen Musikübungsraum, er gehört der Genossenschaft und einem Architekten. Das Wandbild zeigt einzelne Bewohner, es wurde von den Künstlern Sönke Nissen und Eckhart Keller gestaltet.
In einem Grußwort sagte Dr. Knut Gustafsson (Baubehörde): „Das, was wir erhalten haben – die Bewohner, die Stadt, die Politik – ist ein Gewinn für alle.“ Da hat er recht.
Text: Marion Bauer (10_2021)
Fotos: Marion Bauer / EBV-Archiv
Quellen: https://falkenried-terrassen.de/geschichte/Einsichten_Aussichten.pdf